Lebensräume vermarkten?
Am 20. Juni 2024 fand die zweite Veranstaltung der Reihe „aus & ein blick“ des Pappel Forums statt. Dieses Mal zum Thema Tourismus, insbesondere der Vermarktung der Region, den damit verbundenen Versprechungen und den Konsequenzen für deren Entwicklung. „aus & ein blick“ gliederte sich erneut in zwei Teile: eine von Raumplanerin Theresia Heigl kommentierte Wanderung – dieses Mal in Höch im Sausal – und einen Stammtisch, inklusive Impulsreferat des Gestalters und Kreativschaffenden Kurt Höretzeder zum gewählten Themenschwerpunkt.
Die Wanderung auf den Demmerkogel
Der „aus blick“, diesmal von Höch im Sausal bis weit in die Steiermark hinein, war sehr beeindruckend. Der sensibel gestaltete Wanderweg, ein Projekt der hiesigen Landjugendgruppe, hinauf auf den Demmerkogel überzeugt mit seinen unaufgeregten, naturbezogenen Themendarstellungen. In dieser Art gestaltet, tut ein Themenweg in unserer lauten und hektischen Zeit richtig gut. Der Weg schlängelt sich durch den Wald, vorbei an Blumen- und Schmetterlingswiesen, hinauf zur neuen Aussichtswarte. Der Blick von ganz oben war berauschend – die halbe Steiermark scheint von hier aus sichtbar zu sein. Wann hat man schon die Gelegenheit, von oben auf ein Meer aus gerade blühenden Edelkastanien zu blicken?
Nach knapp zwei Stunden, in denen wir uns auch über Verbotsschilder, Baustile, Fassadenfarben, Mauern als Grundstücksbegrenzungen und „rasenroboterbesetzte“ Grundstücke, die keiner Blüte eine Chance lassen, unterhalten haben, waren wir wieder am Ausgangspunkt unter dem großen Klapotetz angekommen.
Fazit: Diesen einzigartigen Landschaftstypus zu erhalten und als Lebensraum sensibel zu entwickeln, muss der Wunsch und die Verantwortung aller sein, die hier leben und in Zukunft leben wollen.
Stammtisch und Diskussion
Tourismuswerbung prägt das Bild einer Region. Verzerrte Fremd- und Selbstwahrnehmung sind oft die Folgen. Doch wie vermeiden wir klischeehafte Darstellungen und Inszenierungen? Kurt Höretzeder gab uns einen „ein blick“, ging in seinem Vortrag auf diese Fragen ein und plädierte für einen neuen, „life-centered“ Blick auf Menschen, Landschaften und Regionen.
Einfluss des Tourismusmarketing
Kurt Höretzeder ist Grafiker mit eigenem Designstudio in Tirol und sich auf Grund seiner langjährigen Erfahrung der unmittelbaren Auswirkungen seiner Arbeit auf die Tourismusregionen und -betriebe bewusst. Die Ergebnisse seiner Arbeit sind über die Regionen hinaus sichtbar, wecken Erwartungen und prägen oft über Jahrzehnte hinweg das Image. Er vergleicht die Auswirkungen der Serie „Bergdoktor“ auf seine Heimatregion rund um den Wilden Kaiser mit dem Einfluss des Tourismusmarketings. Er zeigt eigene Arbeiten, wie beispielsweise für den Südtiroler Weinort Kaltern oder das Redesign des Tirol-Logos. Kurt Höretzeder erzählt auch von Versuchen, das seiner Meinung nach „echte“ Tirol in Videoclips zu verpacken, etwa im Rahmen der Kampagne „100 % Tirol“. Allerdings wurde diese nur in begrenztem Maße ausgespielt, weil den Auftraggebern letztlich der Mut fehlte, mit diesen wie beiläufig erzählten Botschaften aus dem gegenwärtigen Tirol wirklich in die Breite zu gehen – lieber hätte man wahrscheinlich doch etwas gesehen, in dem es um die vermeintlichen Superlative des Landes geht. Zudem erwähnt er das von Jörg Koopmann initiierte Kunstprojekt „Sight – Seeing“, das hinterfragt, wie zeitgemäße Tourismusfotografie aussehen kann.
Er empfiehlt zwei inspirierende Festivals: das „Fö N - Kreativfestival gegen die Schwerkraft“ in Innsbruck und das „House of Beautiful Business“ in Marokko, das sich auch als Netzwerk für „life-centered“ economy versteht.
Den passenden Maßstab finden
Weniger glücklich ist Kurt Höretzeder mit ortsverändernden Bauprojekten seiner Heimat- und Nachbargemeinde. Er erinnert auch an Bad Gastein, die wunderbaren Tourismusplakate, den touristischen Aufstieg, die Stadt inmitten des alpinen Raums und dessen Fall, gefolgt von 30 Jahren Stillstand. Dank der Arbeit von Künstler*innen ist Bad Gastein heute wieder angesagt und Investoren sind bereits zurück. Der Grafiker plädiert dafür, den Kontext nie aus den Augen zu verlieren, auf Ästhetik zu achten und einen passenden Maßstab für bauliche Maßnahmen zu finden. Der Tourismus prägt Orte und Landschaften auch architektonisch, wie unzählige, meist misslungene Beispiele in Tirol und anderswo deutlich zeigen.
Raum für Kreativität
Die Sorge verbindet uns alle, wie Kurt Höretzeder an die Erkenntnisse des Philosophen Heidegger erinnert. Doch hoffentlich braucht es nicht immer eine negative Entwicklung, um tätig zu werden, wie berechtigterweise aus dem Publikum eingeworfen wird. Die Entwicklung der Südsteiermark wird weitgehend als positiv bezeichnet, auch wenn es hier und da „zwickt“. Das Pappel Forum möchte die Augen offenhalten, lernen, reflektieren und ein Bewusstsein in der Bevölkerung schaffen, um Veränderungen nicht hinzunehmen, sondern nach eigenen Wünschen mitzugestalten. Kurt Höretzeder ist überzeugt, dass das Pappel Forum dafür einen Ort braucht – so wie er es mit dem „Weissraum“, einem Designzentrum in Innsbruck, gemacht hat. „Geht in die Öffentlichkeit, schafft euch einen Raum, macht euch sichtbar, konzipiert interessante Formate und macht Lust am Teilnehmen“, fügt er hinzu. Wenn Menschen zusammenkommen, dient das der Kreativität. Und die braucht es, um einen Lebensraum so zu gestalten, dass Tourismus und regionale Entwicklung Hand in Hand gehen.
Fazit der Pappel Forum- Veranstaltung in Kitzeck:Wir müssen darauf achten, was wir visuell und textlich nach außen tragen. Kommunikation erzeugt ein Bild und eine Erwartungshaltung. Gleichzeitig versuchen wir dieser Erwartung gerecht zu werden. So kommt es dazu, dass das für Gäste erzeugte Bild unser Selbstbild beeinflusst. Ein Kreislauf. Oder Teufelskreis. Bleiben wir in unserer Kommunikation ehrlich, authentisch, setzen wir nicht bloß auf Marketingkampagnen, sondern auf das Erlebnis vor Ort. So wie bei der Wanderung am Demmerkogel. Das ist auch die Stärke der Familienbetriebe in der Region. Lasst uns dafür kreativ werden und vorsichtig hinterfragen, was wünschen wir uns für die Südsteiermark in Zukunft.
Diskussions-Telegramm
Themen/Fragen usw., aus der Diskussion:
Investoren, die sich in das gemachte Nest setzen / Begehrlichkeiten von außen sehr hoch, die Politik ist angehalten hier zu dirigieren / Heute entwickeln sich negative Dynamiken sehr schnell. / Wo ist unsere Kapazitätsgrenze für Tourismus? Bei Unterkünften, aber auch bei Themen wie Mobilität. / Banken haben auch großen Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung / Vorschlag: Teil der Tourismusabgabe soll/kann in Zukunft in die Kultur gehen / Gruppierungen aus der Zivilgesellschaft sind wichtig, aufgeschlossene Politik dazu holen / Es braucht eine übergeordnete Strategie / Tourismusorganisation hat wenig Gestaltungskraft, Kernaufgabe des Tourismus in 2030 ist, als Netzwerker aufzutreten, die Region im Sinne der touristischen Betriebe und der Bevölkerung weiterzuentwickeln, Marketing ist nur mehr ein Teil der Arbeit einer Tourismusorganisation / Mobilität ist ein wichtiger Punkt, Regiomobil ein tolles Angebot, das es bisher nicht geschafft hat, Teil des Öffentlichen Netzes zur werden. Bis jetzt. Gemeinsame Mobilität gehört künftig umgesetzt. / Architektur ist ein wichtiges Thema / Wichtige Partner für die Entwicklung sind die Gemeinden: Raumplanung, Baurecht – überregional sind Richtlinien zu erarbeiten / Es gibt bereits viele Richtlinien: Wie malen wir die Häuser an? Wie schaut das Steirerhaus aus? Wie bauen wir Gewerbegebäude, etc. Aber keiner hält sich daran. Es ist wichtig, das Bewusstsein in der Bevölkerung zu erhöhen und dadurch Akzeptanz zu erzielen. / Ich sehe die wesentliche Aufgabe des Vereins darin, herauszufinden, wo die Reise für unsere Region hingeht. Wie können wir auf die Spekulation reagieren? Sie treiben die Immobilienpreise nach oben und Einheimische können sich nicht mehr entwickeln. / Wir sind eine landwirtschaftliche Region mit einer touristischen Nutzung / Die Region hat gerade ein bisschen Luft bekommen, weil mit fremdem Geld spekulieren nicht mehr so lustig ist.
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